Ein Buch, mich zu knechten (II)

Und es ist vollbracht! Ich habe Ayn Rands „Atlas Shrugged“ zu Ende gelesen, das Buch, neben dem selbst der Herr der Ringe wie eine Kurzgeschichte wirkt. Gut, das ist übertrieben, aber ich habe noch nie ein Buch gelesen, in dem so viel Text auf eine Seite gepresst wurde. Anfangs war das wirklich erschlagend, doch nun, nach Monaten des Lesens (ja, ich habe nicht allzu viel Zeit zum Lesen) kann ich sagen, dass es sich gelohnt hat, die mehr als 1000 Seiten in winziger Schrift mental zu inhalieren.

Was ich anfangs für kaum möglich hielt, ist letztlich doch eingetroffen und hat mich motiviert, tiefer in Rands Kosmos einzutauchen: „Atlas Shrugged“ ist spannend. Spannend auf eine Art, die nichts mit Effekthascherei zu tun hat, sondern eher auf eine morbide Art. Der Niedergang der gesamten Menschheit wird auf eine schleichende und gemeine Weise beschrieben, die Machtlosigkeit gegen den Moloch der Gleichmacherei und das langsame Zusteuern auf eine Art großen Endkollaps sind bis zum Ende des Buches (und eigentlich auch darüber hinaus) tragende Motive. An einigen Stellen blitzen winzige phantastische Elemente durch, im Speziellen bei zum Schluss hin entwickelten Technologien. Aber ich will hier nicht rumspoilern.

Rands philosophischer Ansatz erscheint zunächst merkwürdig, stellt sie doch die Verfolgung eigener Interessen, die Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen und die totale Aufopferung für die eigenen Ziele als Ideale dar. Im Kontext des Buches und der darin geschilderten Welt stellen die Hauptfiguren wie Dagny Taggart oder Hank Rearden Archetypen des von Rand propagierten Menschenbildes dar, während der Rest der Menschheit (mit wenigen Ausnahmen) das Streben nach persönlichem Erfolg ablehnt. Zwar wird dieser Zustand von Rand im Verlauf der Handlung glaubhaft dargelegt, ist aber aus meiner Sicht selbst im pessimistischsten Blick auf unsere Welt schlicht unrealistisch. Es ist kaum vorstellbar, dass beinahe alle (!) Menschen sich einer Moral unterwerfen, in der die Bereitschaft zu persönlicher Leistung als böse und falsch abgelehnt wird. Ich hoffe das zumindest. Die übersteigert heroischen und moralisch sowie geistig überlegenen Figuren, die „Helden“, wenn man so will, stehen dabei sinnbildlich für den Menschen, den Ayn Rand als Idealbild ansieht. Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass jemand nach den ersten dreihundert Seiten das Buch wieder zur Seite legt, weil die Charaktere schablonenhafte Abziehbilder sind und weil deren absolut geradlinige Handlungsweise völlig „unmenschlich“ ist. Die Helden kennen kein Zögern, keine Unsicherheit, nur entschlossenes, rationales und aufrechtes Handeln, welches letztlich auch fast immer zu einem furiosen Erfolg führt. Realitisch? Nein. Sinnvoll für die Handlung. Ja! Denn nur auf diese Weise gelingt es Rand, die Welt so darzustellen, wie sie sie sieht.

Das Ende des Buches überlässt es angenehmerweise dem Leser, sich selbst einen Reim darauf zu machen, was danach kommt. Alles andere hätte dem Werk dann wohl endgültig die Pathos-Krone aufgesetzt, daher finde ich es gut, dass Rand hier nicht weiter ins Detail gegangen ist.

Ein gewaltiges Buch ist dieses „Atlas Shrugged“, soviel steht fest. Eine absolute Empfehlung kann ich indes nur demjenigen aussprechen, der sich auf ein extrem umfangreiches und teils nur mühsam voran kommendes Buch einlassen will. Wenn man es dann aber geschafft hat, hinterlässt „Atlas Shrugged“ einen bleibenden Eindruck.

Einen positiven, bei mir.

Ein Buch, mich zu knechten

Es kommt nicht häufig vor, dass ich nach zweihundertfünfzig eng beschriebenenen Seiten in gefühlter Schriftgröße 5 in einem Roman noch immer das Gefühl habe, erst ganz am Anfang einer Geschichte zu sein. Ayn Rands „Atlas Shrugged“ gibt mir dieses Gefühl. Es ist ein wahres Monster von einem Buch. Mehr als tausend Seiten, die wirklich sehr viel dichter bedruckt sind als in den meisten anderen Büchern, natürlich im englischen Original und damit nicht so flüssig zu lesen wie in Deutsch, stellen eine echte Herausforderung dar. Aber ich will es ja auch gar nicht anders. Schließlich ist mir meine begrenze Lesezeit zu schade, um einfach schnell irgendwas zu lesen. Dann lieber etwas, das sowohl vom Umfang her als auch vom Inhalt fordert.

Mein derzeitiger Eindruck vom Buch lässt sich wie folgt beschreiben: Frustrierend-dystopische Gesellschaftsvision trifft auf „über“- bzw. „un“menschliche Charaktere, die an der Grenze zur Soziopathie entlangstreifen, um wirtschaftlichen Erfolg zu haben. Ernst nehmen kann und darf man Figuren wie Hank Rearden und Dagny Taggart nicht, zu unrealistisch und aufgesetzt sind sie. Das konsequente Verneinen jeglicher menschlicher Emotion, jeglichen Gefühls und die komplette Fixierung auf beruflichen Erfolg mögen als Metapher funktionieren, nicht aber als glaubwürdige Charaktere. Als Gegenentwurf zur von Rand beschriebenen Gesellschaft, in der alles Individuelle entwertet und verteufelt wird, das Streben nach Erfolg als unsozial angesehen wird und an Kommunismus angelehnte Gleichmacherei betrieben wird, taugen sie dennoch ziemlich gut. Was allerdings den unrealistischen Eindruck weiter verstärkt ist die Tatsache, dass die Hauptpersonen quasi der gesamten Gesellschaft und schier unüberwindlichen Problemen die Stirn bieten und (bisher) immer erfolgreich sind. Scheitern, Resignation, Aufgabe, all das existiert nicht für Rands Hauptfiguren. Es ist natürlich ebenfalls Geschmacksache, seitenlangen Beschreibungen mehr oder minder uninteressanter Gedankengänge zu folgen und den kaum nachvollziehbaren, weil wirklich krankhaft auf Arbeit und Erfolg fixierten Gedanken der Hauptpersonen zu lauschen. Aber langweilig ist es nicht.

Ich bin sehr gespannt, wie sich die Geschichte weiter entwickelt, auch wenn es bei meinem derzeitigen Lesetempo (auf dem Weg zur und von der Arbeit ist einfach nicht viel Zeit) noch Wochen dauern wird, bis ich weiß, wie „Atlas Shrugged“ ausgeht.

Und danach „The Fountainhead“? Mal sehen.